Elf Jahre nach
dem Feuertod Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau gerät
die offizielle Selbstmordhypothese der Justiz immer mehr in die Kritik.
Auf einer Pressekonferenz der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
am 27. Oktober stellten die Forensiker Iain Peck, Emma Wilson, Alfredo
Walker und der Toxikologe Michael Scott-Ham neue Gutachten vor. Die
Experten aus England und Kanada halten eine Beteiligung von Dritten
für wahrscheinlich. Es spreche wenig dafür, dass der Brand
von Oury Jalloh selbst gelegt wurde.
Zusammenfassung
der wichtigsten Schlussfolgerungen der Gutachten
und Livestream
von der Pressekonferenz
Die Gutachter halten
es für nicht nachvollziehbar, dass ein erst nach Tagen gefundenes
Feuerzeug bereits während des Brandes unter dem Opfer in der Zelle
gelegen haben soll. Dann hätten Spuren von Gewebe oder Haut daran
kleben müssen. Der Toxikologe sagte, das Oury Jalloh wegen seines
erheblichen Alkohol- und zusätzlichem Marihuana- und Kokaingenußes
rein motorisch kaum in der Lage gewesen sei, mit gefesselter Hand die
Hülle der Matratze aufzureißen, ein Feuerzeug zu zücken
und den Schaumstoff anzuzünden.
Das Ausmaß des Feuers sei zudem kaum mit einem Schwelbrand der
Matratze vereinbar. Vieles deute auf einen Brandbeschleuniger hin. Dass
die Ermittler keine Spuren von Brandbeschleuniger fanden, spreche nicht
gegen diese Annahme, da diese vollständig vom Feuer vernichtet
sein könnten.
Fraglich ist auch, ob Oury Jalloh beim Ausbruch des Feuers überhaupt
noch gelebt hat. Die britischen Experten verweisen darauf, dass die
offiziellen Gutachten keinen ausreichenden Nachweis hierzu erbracht
hätten. Entscheidende Bilder des Atemsystems, wo sich Spuren von
Ruß zeigen müssten, liegen demnach nicht vor. Auch das offizielle
Gutachten zum Blutbild zeige keine eindeutigen Werte.
Mit einem spendenfinanzierten
Brandgutachten hatte die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh bereits
im November 2013 nachgewiesen, dass die massiven Verkohlungen des Leichnams
sowie die komplette Verbrennung der feuerfesten Matratze nur unter Einsatz
von mehreren Litern Brandbeschleunigern erklärbar sind. (siehe
Brandgutachten von Thermophysiker Maksim Smirnou).
Seit Jahren fordert die Oury-Jalloh-Initiative, dass der Fall als Mordfall
behandelt wird und gründlich und vollständig untersucht wird.
Der Staatsanwaltschaft Dessau wirft sie vor, den Sachstand ihrer eigenen
Ermittlungen nach außen zu verbergen und Ermittlungsaktivitäten
der Initiative zu erschweren, indem sie Informationen zurück hält
und auf dringende Anfragen der Nebenklagevertretung erst Monate später,
unvollständig und teilweise gar nicht reagiert. Wir dokumentieren
die Stellungnahme der Initiative, mit der sie die neuen Gutachten einleitete:
Warum hat die Initiative weitere Sachverständigengutachten in
Auftrag gegeben?
"Im November
2013, das war vor 2 Jahren, haben wir an diesem Ort das Brandgutachten
des irischen Brandsachverständigen Maksim Smirnou vorgestellt.Smirnou
hat anhand zahlreicher Abbrand-Versuche gezeigt, dass ein Brandbild,
so wie es in der Zelle 5 am Tatort vorgefunden wurde, nur mit Hilfe
eines starken Brandbeschleunigers erreicht werden kann.
Zur damaligen Pressekonferenz war auch der Leitende Oberstaatsanwalt
Folker Bittmann aus Dessau angereist. Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse
erklärte Folker Bittmann im Anschluss an die Präsentation
der gutachterlichen Ergebnisse, dass er dringenden Aufklärungsbedarf
sehe und man könne sich gewiss sein, dass von seiner Behörde
nichts unter den Teppich gekehrt werde.
Trotz schwerer Indizien- und Beweislast, die die Hypothese der Dessauer
Staatsanwaltschaft - Oury Jalloh habe die Matratze selbst entzündet
- fundamental in Frage stellt, hat die Staatsanwaltschaft Dessau das
Gutachten von Maksim Smirnou nicht zum Anlass genommen entsprechende
Ermittlungen einzuleiten - zumal es Hinweise auf mögliche Tatverdächtige
gibt. Im Gegenteil, sowohl Folker Bittmann als auch der für den
Fall zuständige Oberstaatsanwalt Christian Preissner vertreten
weiterhin öffentlich die Meinung, es gebe keinerlei Anhaltspunkte
für die Beteiligung Dritter.
Eine falsche Schlussfolgerung, die die Staatsanwaltschaft weiterhin
auf der Grundlage einer Hypothese gebaut hat, die nicht nachvollziehbar
ist und deren einziger Anhaltspunkt - ein Feuerzeugrest - nachweislich
gar nicht im Brandschutt gelegen haben kann. Genau wegen dieses Feuerzeuges
hatte sie im Dezember 2012 einen Prüfvorgang eingeleitet. (eine
Vorstufe des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens). Allerdings bezieht
die Staatsanwaltschaft auf deutliche Anfragen bezüglich des Feuerzeug
keine klare Stellung und verbirgt offenkundig den Sachstand ihrer eigenen
Ermittlungen nach außen. Gleichzeitig erschwert sie die Ermittlungsaktivitäten
der Initiative, indem sie Informationen zurück hält und auf
dringende Anfragen der Nebenklagevertretung erst Monate später,
unvollständig und teilweise gar nicht reagiert. Die Dessauer Staatsanwaltschaft
missbraucht offenkundig ihren Ermittlungsauftrag zum Schutze der Täter
und sie benutzt die ihr anvertraute Deutungshoheit über das Verfahren,
um die Öffentlichkeit mit falschen Analysen und Schlussfolgerungen
in die Irre zu führen.
Anders als es von einigen Medienvertretern in den letzten Wochen eingeschätzt
wurde, ist die Aufklärung der Todesumstände von Oury Jalloh
nicht nur machbar und möglich - sie ist nach wie vor zwingend notwendig.
Und genau deswegen sitzt heute dieses internationale Expertenteam hier
..."
Initiative in Gedenken an Oury Jalloh Berlin, den 27. Oktober 2015