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siehe auch: Aufruf zum 3. Prozeßtag mit einem Hintergrundvideo zur Residenzpflicht und einem
Telefoninterview mit Cornelius Yufanyi

THEMA: Residenzpflicht: Cornelius Yufanyi
ORT: Worbis
ZEIT: 4. September 2003
 

Urteil im Residenzpflichtsprozess

Am Donnerstag den 4.9.03 fand in Worbis der dritte Prozesstermin gegen Cornelius Yufanyi wegen Verletzung der Residenzpflicht statt. Die Residenzpflicht bestimmt, daß Flüchtlinge nicht ohne Genehmigung den ihnen behördlich zugewiesenen Landkreis verlassen dürfen. Eine Straftat, die Deutsche nicht begehen können, für Flüchtlinge jedoch eine massive Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit bedeutet. Cornelius Yufanyi hatte im Mai 2000 ohne Erlaubnis der Eichsfelder Ausländerbehörde einen von ihm organisierten Flüchtlingskongress in Jena besucht und weigerte sich seitdem, dafür 600 DM Strafe zu zahlen.
Etwa 100 Menschen fanden sich zur Kundgebung und Prozessbeobachtung vor dem Amtsgericht Worbis ein. Nur 40 BesucherInnen passten in den Verhandlungssaal, weshalb weitere Stühle herangeschafft werden mussten. Zu Prozessbeginn lehnte Cornelius erneut eine Einstellung des Verfahrens ohne Freispruch ab - in einer bemerkenswerten Rede, siehe Dokumentation weiter unten, begründete er, warum er niemals mehr für seine Bewegungfreiheit zahlen wird.
Die Richterin, um einen Abschluss bemüht, handelte drei Beweisanträge der Verteidiger Ulrich von Klinggräff und Stefan Schrage damit ab, dass sie die Angaben als wahr unterstellte: Rassistisches Fehlverhalten der Ausländerbehörde, unwürdige Lebensumstände im abgelegenen Asyllager Weilrode sowie die psychische Notwendigkeit eines Aufenthaltes Yufanyis außerhalb des Landkreises. Das Verfahren wollte sie aber nicht ohne Schuldspruch beenden und schloss sich dem Staatsanwalt an, der für eine "geringe Geldstrafe" plädierte: 15 Tagessätze zu je 10 Euro oder 15 Tage Haft und darauf verwies, dass das Amtsgericht Worbis keine politischen Prozesse führt.
Cornelius Yufanyi will weiterhin keine Strafe zahlen. Die Anwälte kündigten Berufung vor dem Landgericht an. Ihr Ziel: der europäische Gerichtshof und die endgültige Abschaffung der Residenzpflicht. Der Tag endete mit einer lautstarken Demonstration durch das kleine Worbis, dort dürften mittlerweile viele Leute diese rassistische Sonderregelung kennen.

Kontakt: The VOICE Göttingen, Lange Geismar Strasse 73, 37073 Göttingen, Tel. 0551- 58892,
Fax: 0551-58898, e-mail: the_voice_goettingen@gmx.de

 


Video: Umbruch Bildarchiv

Klicke auf das obenstehende Bild und siehe ein Kurzvideo. 2'48 Min., mp4



Video: Umbruch Bildarchiv

Videointerview mit Rechtsanwalt Ulrich Klinggräff - Einschätzung des Prozesses
Klicke auf das obenstehende Bild und siehe ein Kurzvideo.
4'40 Min. mp4-Version

Rede von Cornelius Yufanyi vor Gericht

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,

Mit Respekt vor Ihrer ehrenhaften Position und vor dem Gesetz des Landes, welches Sie durch Ihren Beruf und Ihre Persönlichkeit vertreten, würde ich Ihnen gerne meine Erfahrungen und Beschwerden, meinen Fall mit dem Aktenzeichen Nr. 403Js51861/00(1Cs) betreffend, mitteilen. Mein Fall wurde am 12. Oktober 2000 in Worbis vor Gericht gebracht.

Wie Sie bereits wissen, war ich ein Asylsuchender aus Kamerun und lebe seit dem Januar 1999 in Deutschland. Ich hatte immer um Erlaubnis gebeten, bevor ich meinen Landkreis verlassen wollte, auch wenn mir die Genehmigung in den meisten Fällen nicht erteilt wurde. Mir wurden mehr als 30 nachweisliche Genehmigungen zum Verlassen des Landkreises gegeben. Dies beweist, dass ich dazu in der Lage bin die Gesetze zu respektieren, besonders in Deutschland. Obwohl ich das Residenzpflichtgesetz vom ersten Tag meiner Kenntnis an als diskriminierend und kriminalisierend den Flüchtlingen gegenüber empfand, hatte ich es weiterhin respektiert, um meinen Willen zu beweisen, unter den Gesetzen jeder Gesellschaft, in der ich mich befinde, zu leben.

Durch das Residenzpflichtgesetz und andere rassistische, diskriminierende Gesetze die in diesem Land für Flüchtlinge gelten, die auf ihre legale Aufenthaltsgenemigung warten, empfand ich meine Rechte als freier Mensch zu leben als stark eingeschränkt. Ich wurde physisch und mental gefoltert, entehrt, diskriminiert und kriminalisiert. Meine Menschenwürde wurde beeinträchtigt und fast zerstört.

Das Residenzpflichtgesetz widerspricht § 13 (i) der universellen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von der UNO etabliert wurden, und die Deutschland als Mitglied der UNO unterzeichnet hat. Zitat: " Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnortes innerhalb eines Staates.". Ich hatte mir niemals ausgesucht, in Weilrode zu wohnen. Dieses Gesetz beschränkte auch mein freies Bewegungsrecht, welches ich als mein Geburtsrecht verstehe.

Aus all diesen Gründen war ich verbittert und behielt mir vor, für die Abschaffung dieses Gesetzes zu kämpfen. Die Anerkennung aller Menschen als Gesamtheit sollte Gesetzen den Weg öffnen, die die Einheit, Integration und Kooperation fördern, und nicht Gesetze hervorbringen, die die Trennung, Klassifizierung, Folterung und Zerstörung von Menschen verstärken. Seit dem Beginn meines Aufenthaltes in Deutschland habe ich gegen Rassismus, Faschismus und Rechtsradikalismus und für die Verbesserung der Gesellschaft, in der ich lebe, gekämpft. Ich habe zur Integration und Zivilcourage zwischen Deutschen und Ausländern aufgerufen, und was erhielt ich als Ergebnis? Eine Geldstrafe von mehr als 700,00 DM. Mit diesen Gesetzen bereiten wir einen Brutplatz für das, was wir vorgeben zu bekämpfen: "Rassismus und Rechtsradikalismus".

Mit dem Rest meiner Würde werde ich solange ich lebe gegen dieses Gesetz angehen und niemals Verhältnisse akzeptieren, die dieses Gesetz existenzfähig machen. Ich werde die Konsequenzen, die mich erwarten, akzeptieren und ich bin darauf vorbereitet, meinen Fall bis vor den Europäischen Gerichtshof zu bringen. Ich werde niemals für mein Recht auf Bewegungsfreiheit bezahlen.

Am ersten Tag der Verhandlung, am 12. 10. 2000, brachte ich meine Meinung bezüglich dieses Falles zum Ausdruck.

Wie Sie erfahren haben können, bin ich jetzt verheiratet und habe eine Tochter. Ich studiere außerdem jetzt in Göttingen, wo ich auch lebe. Die Flüchtlingsorganisation The VOICE Forum, die für die Verteidigung der Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen kämpft, und in der ich arbeite, hat sich nach Göttingen ausgedehnt. Ich kann mich jetzt frei bewegen, ohne dass ich daran denke, dass ich dabei meinen Landkreis verlasse, dennoch fühle ich immer noch die Angst vor Verfolgung, die mir an genau dem Tag, als ich um Asyl bat, eingeflößt wurde - mit Gesetzen wie demjenigen, aufgrund dessen ich angeklagt wurde.

Ich erwähnte all diese Dinge, weil ich nur genau einen Punkt zum Ausdruck bringen wollte. Der Unterschied von mir heute im Vergleich zu mir an dem ersten Tag, an dem ich vor diesem Gericht stand, ist, dass ich erst 26 Jahre alt war und jetzt 29 Jahre alt bin. Wie konnte es passieren, dass ich, Cornelius Yufanyi, die gleiche Person, die hier vor drei Jahren stand, in zwei unterschiedlichen Welten leben konnte - in der Welt mit psychischer Folter und Qualen und in einer Welt mit Zukunft - beides in einem demokratischen Land mit Grundrechten wie Deutschland.

Ich erhielt meinen gegenwärtigen Status, weil ich gegen schlimme Gesetze wie dieses aufschreien und protestieren musste und manchmal brach ich sie auch. Wie kann es möglich sein, dass ein Fremder oder ein Flüchtling in Deutschland ein Krimineller werden muss, damit er oder sie eine Zukunft in diesem Land haben kann? Ich habe mein Deutsch außerhalb des Landkreises Eichsfeld gelernt, auf den mein Aufenthalt beschränkt worden war. Ich und etwa 80 andere Flüchtlinge lebten in Weilrode, in einem Heim, welches jetzt aufgrund des zunehmenden Protestes von Flüchtlingen geschlossen ist, etwa 30 km von Worbis entfernt, wohin wir nicht zweimal im Monat fahren konnten aufgrund der hohen Buskosten. Wie können wir von der Integration der AusländerInnen sprechen, wenn wir sie im Wald halten?

Madame, um nicht lange Worte zu machen, in den letzten drei Jahren haben wir auf dieses Gericht Druck ausgeübt, nicht weil wir Sie herausfordern wollen, sondern weil ich und auch andere Leute dachten, dass Sie mit einem Beispiel vorangehen sollten in der Verteidigung der Rechte und der zivilen Freiheiten der Flüchtlinge und der AusländerInnenInnen im Allgemeinen. Ihre Entscheidung, die Beschränkung der Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge als Grund- und Menschenrechtsverletzung anzusehen, wird als ein Eckstein für den Kampf gegen Apartheid, Diskriminierung und soziale Ausgrenzung in diesem Land dienen. Sie werden nicht die Einzige sein, die gegen dieses Gesetz ist, denn auch Andere haben ihrer Meinung durch Faxe und durch ihre Anwesenheit in der Verhandlung Ausdruck gegeben.

Ich muss außerdem sagen, dass ich nicht nur ein Flüchtling bin, wie man so sagen könnte, sondern dass ich auch vollständig zur Entwicklung dieses Landes Deutschland beitrage - in meiner Menschenrechtsarbeit, meinem Studium, meiner Arbeit, als Familienvater.
Ich appelliere abermals an Sie als Verteidigerin der Gerechtigkeit in Deutschland, auf den Schrei der Flüchtlinge und anderer BürgerInnen in ihrem Land zu hören.

Heute bin ich zum dritten Mal zu diesem Gericht bestellt worden, um für Straftaten beschuldigt zu werden, die Deutsche niemals begehen können. Heute habe ich zum dritten Mal gezeigt, dass nicht ich derjenige bin, der angeklagt wird, sondern der deutsche Staat, der diese undenkbare Menschenrechtsverletzung gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen begangen hat. Die Residenzpflicht kann indirekt mit einem der Gesetze verglichen werden, die während des inzwischen abgeschafften Apartheid Regimes in Südafrika existiert haben, dem Pass-Gesetz. Mit Blick auf die deutsche Geschichte, die Sie mit Sicherheit besser kennen werden als ich, stellt man fest, dass dieses Gesetz vor und während der NS-Zeit Anwendung fand. Es ist eine Schande und ein Skandal, dass dieses Gesetz heute immer noch im deutschen Rechtssystem existiert. In allen drei erwähnten Instanzen wurde und wird dieses Gesetz immer gegen AusländerInnen angewandt, die in Deutschland gelebt haben und heute weiterhin leben. Ich denke, im heutigen Zeitalter, dem 21. Jahrhundert, sollte dieses Gesetz längst Teil der Geschichte sein und eigentlich sollte allen Familien, die darunter leiden mussten und heute noch leiden müssen, eine Wiedergutmachung gezahlt werden.

Ich wurde vor drei Jahren angeklagt, weil ich an einem Kongress teilgenommen habe, den meine Organisation organisiert hatte, und von dem ich einer der Hauptkoordinatioren war. Ich schrieb Einladungen an ausländische Teilnehmende, die tausende von Kilometern entfernt wohnten, die ihre Visas bekamen, um an diesem 10-tägigen Kongress teilzunehmen - und ich bekam keine Erlaubnis, um meinen nur einige Kilometer entfernten Landkreis verlassen zu können. Was für ein Widerspruch?! Ich würde sagen, ich werde indirekt beschuldigt, einen Kongress organisiert zu haben, in dem es darum ging, die Probleme und die Organisation von Flüchtlingen und MigrantInnen zu diskutieren, ein Kongress gegen Abschiebung und soziale Ausgrenzung. Ich werde dafür verfolgt, dass ich politische Arbeit mache, und ich sowie andere Flüchtlinge laufen nun Gefahr, eine Geldstrafe bis zu 2500 € zahlen oder ins Gefängnis gehen zu müssen, oder sogar abgeschoben zu werden - weil sie dieses diskriminierende und rassistische Gesetz verletzt haben. Dieses Gesetz sowie andere Gesetze des Asylbewerberleistungsgesetzes kriminalisieren unsere Existenz als MENSCHEN und bringen uns in genau die gleiche Situation mit genau den gleichen Gründen, die uns dazu trieben, aus unseren Herkunftsländern zu fliehen. Dieses Gesetz zeigt, wie wenig die deutsche Gesellschaft integriert ist, und es zeigt ebenso, wie der deutsche Staat durch seine rechtliche, politische und polizeiliche Maschinerie Rassismus und Hass in der deutschen Gesellschaft entflammt. Denn die Kontrollen durch Polizei, Bundesgrenzschutz und Zoll z.B. finden entlang phänotypischer Merkmale statt und laden BeamtInnen zur diskriminierenden Kontrolle aller als "nicht-deutsch" wahrgenommenen Personen ein.

Mein Professor sagt immer "Lange Rede, kurzer Sinn". Ich werde hier schließen, indem ich den Schwur wiederhole, den ich am ersten Tag meiner Anhörung machte. Ich werde nie für mein Recht auf Bewegungsfreiheit bezahlen, welches ich, so glaube ich, von Geburt an habe. Ich stehe nicht über dem Gesetz und ich denke, niemand in Deutschland sollte über dem Gesetz stehen. Die Deutschen aber stehen über diesem Gesetz, deshalb ist es rassistisch. Da es nur Flüchtlinge betrifft, ist es diskriminierend, und weil hunderte Menschen durch dieses Gesetz gefoltert und diskriminiert wurden und werden, gehört es abgeschafft. Ich fordere die Abschaffung dieses Gesetzes und gleiche Rechte für alle.
Lang leben der antirassistische Kampf und die Menschen, die ihn kämpfen.

In der Hoffnung, das dies ein Präzedenzfall zur Abschaffung des Residenzpflichtgesetzes wird.


Cornelius Yufanyi


Weitere Informationen:

  • Telefoninterview mit Cornelius Yufanyi und Kurzvideo: Hintergrund zur Residenzpflicht
  • Residenzpflicht-Prozess in Worbis: Einblicke in den verbeamteten Rassismus
  • Webjournal zum Karawane-Kongress in Jena mit ausführlichen Berichten über die Themen des Kongresses
  • Aktionstage gegen die Residenzpflicht vom 17.-19. Mai 2001 auf dem Berliner Schlossplatz

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