Bashir
Zakaryau ist tot
Bashir Zakaryau,
einer der führenden Köpfe der Refugeebewegung in Berlin, ist
tot. Er hat dem Kampf der Geflüchteten auf dem Oranienplatz Gesicht
und Stimme gegeben. Am Mittwoch den 26. Oktober 2016 starb Bashir an einem
Herzleiden. Am 2. November wurde er auf dem Landschaftsfriedhof Gatow
beigesetzt.
WIE GEHT´S? GUT?
Bashir Zakaryau, Flüchtling und Staatsmann ohne Staat, ist tot.
Ein Nachruf von Jenny
Erpenbeck
In einer kleinen Wohnung
in Berlin liegt ein mächtiger Mann auf dem Boden. Er ist mit Tüchern
zugedeckt. Bashir Zakaryau ist tot.
Die Unruhen in Nigeria,
bei denen sein Vater verbrannt wurde, hat er überlebt. Den Krieg
in Libyen, bei dem auf offener Straße Jagd auf Schwarzafrikaner
gemacht wurde, hat er überlebt. Bei der Kenterung des Boots, auf
das er von Gaddafi-Leuten gezwungen wurde, ertrinken seine siebenjährige
Tochter und sein fünfjähriger Sohn, die unter Deck waren. Bashir
hält sich an einem Seil fest und überlebt den Tod seiner Kinder.
So kommt er nach Lampedusa,
dann aufs italienische Festland. Es gibt keine Arbeit. Er kommt nach Deutschland.
Dort gilt für ihn das Arbeitsverbot nach Dublin II. Bashir, der erst
eine Schlosserei hatte in Nigeria, und später wieder eine in Libyen,
weiß, was es heißt, nicht arbeiten zu dürfen. Nicht arbeiten
zu dürfen heißt, nicht ankommen zu können. Heißt,
in die eigene Erinnerung eingesperrt zu bleiben. Nicht arbeiten zu können
heißt, die eigene Hoffnung zum Feind zu haben. Als afrikanische
Flüchtlinge 2012 auf dem Berliner Oranienplatz ein Camp errichten,
um gegen die europäische Asylpolitik zu protestieren, beginnt Bashir,
für seine Leute zu sprechen.
Niemand, der ihn hat
sprechen hören, wird ihn je vergessen. Er ist laut, er ist leidenschaftlich,
er versteht, dass es großer Kraft bedarf, um Dinge in Bewegung zu
setzen, aber dass Bewegung auch bedeutet, miteinander zu agieren und nicht
gegeneinander. Er sieht, dass sich durch die Dublin-Verordnung die Fronten
verhärten. Er ist eine gewaltige Erscheinung, aber er verabscheut
Gewalt. Ich kann kein Blut mehr sehen, sagt er. Er will den
Ausgleich, die Gleichberechtigung, will die Unsichtbaren, die aus dem
öffentlichen Bewusstsein Verdrängten, sichtbar machen. Es gibt
Demonstrationen, es gibt Meetings, Interviews. Der Senat aber will keinen
Präzedenzfall. Bashir, Staatsmann ohne Staat, wird vom Berliner Innensenator
kein einziges Mal empfangen.
Bashir überlebt,
bereits schwer herzkrank, zwei Jahre im Zelt auf dem Oranienplatz. Zwei
Sommer, zwei Winter. Für die jungen Männer, deren Väter
erschlagen wurden, ist er ein Vater. Für die Schweigsamen, unter
den Schrecken der Flucht Verstummten, ist er die Stimme. Einzelkämpfern
bringt er bei, sich als Mitglied einer Gemeinschaft zu begreifen. Als
der Senat schließlich eine sogenannte Vereinbarung vorschlägt
und den Männern vage Versprechungen macht, unterschreibt Bashir im
Namen aller. Die eigene Hoffnung zum Feind zu haben, ist schwer.
Der Platz wird geräumt,
die Gruppe auf Heime verteilt, plötzlich besteht sie aus lauter Einzelfällen,
die geprüft werden sollen. Wie geht´s? Gut? Bashir
lacht. Bashir, der Hüne, trägt ein T-Shirt, auf das ist ein
Gerippe gedruckt. So ein dickes Gerippe gab es noch nie. Bashir verwandelt
jeden, den er umarmt, in ein Kind. Bashir erklärt mir die fünf
Säulen des Islam und sagt: Wer tötet, ist kein Muslim.
Nicht einmal das kleinste Tier darfst du töten, denn es kann sein,
dass auch so ein Tier zu Haus Kinder hat, die warten. Bashir organisiert
für seine vom Hoffen erschöpften Leute gemeinnützige Arbeit.
Wo auch immer der Schlosser irgendwo ein Geländer, ein Tor, ein Gitter
sieht, sagt er: This was my work. I can make this. This was my work.
Das Infozelt am Oranienplatz, der alte Treffpunkt, wird zum dritten Mal
von Unbekannten in Brand gesetzt. Wenn Bashir von seiner Mutter am Telefon
gefragt wird, wie es ihm geht, sagt er: Gut.
Schließlich
sind alle Einzelfälle geprüft. Nur einige Schwerkranke,
unter ihnen Bashir, bekommen eine Duldung und damit einen Heimplatz, alle
anderen müssen gehen. Es ruft ihn der an, und der, und der. Bashir
sagt: It kills me. Ich bin im Heim und meine Brüder werden
auf die Straße gesetzt. Bei einer Kontrolle in der nächtlichen
Sperrzeit für Besucher findet der Heimbetreiber einen der obdachlos
gewordenen Freunde von Bashir im Schrank versteckt, einen anderen unter
dem Bett, einen dritten im Bad. Bashir muss das Heim verlassen. Aber wohin?
Wie durch ein Wunder
fällt da ein Wohnungsangebot vom Himmel. Anderthalb Zimmer. Bashirs
Habe beim Umzug: zwei Koffer und ein paar Säcke mit Sachen. Das Beatmungsgerät
für die Nächte. Eine Plastiktüte mit Medikamenten. Ein
Ordner mit Briefen von Ämtern.
Vor wenigen Wochen
hat er zu mir gesagt: Ich hätte so gern noch einmal Kinder.
Jetzt liegt er zugedeckt
in seiner Wohnung.
Fünf Menschen,
die er in den letzten Monaten bei sich aufgenommen hat, darunter eine
Frau mit zwei Kindern, sind jetzt wieder ohne Obdach. Eine politische
Lösung für das, was einmal die Gruppe vom Oranienplatz
hieß, ist nach wie vor nicht in Sicht. Nur für Bashir ist jetzt
die lange Schlacht, in der er für seine Leute gestritten hat, zuende.
Hier in Berlin hat er das Überleben nicht überlebt. Aber es
war nicht er, der aufgegeben hat, nur sein Herz." - Jenny Erpenbeck
- (Quelle:
Lampedusa Berlin)
Erpenbeck hat für
ihren Roman Gehen, ging, gegangen unter Flüchtlingen
recherchiert. Zakaryau war Vorbild für eine der Hauptfiguren.
Wir sammeln für
die medizinische Versorgung von Bashirs schwerkranker Mutter: Postbank
Essen Kto.Inh. Jenny Erpenbeck
IBAN DE39 590100660549644665
BIC PBNKDEFF
Verwendungszweck:
Spende Bashir
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Bashir
Zakaryau war innerhalb der Berliner Flüchtlingsbewegung nicht unumstritten.
Sein Agieren bei der Räumung des Oranienplatzes, als er den Versprechen
des Senats Glauben schenkte und mit den Lampedusa Flüchtlingen
den Platz verließ, brachte ihm scharfe Kritik ein. Es führte
zu einem nachhaltigen Zerwürfnis innerhalb der Bewegung. Doch trotz
der Differenzen,
am Tag der Beisetzung erwiesen auch einige AktivistInnen, die zu den
schärfsten Kritikern Bashir gehört hatten, Bashir die letzte
Ehre und verabschiedeten ihn mit Respekt und Würde. Napuli Paul
Langa, die bis zur Selbstaufgabe um das selbstorganisierte Flüchtlingscamp
auf dem Oranienplatz gekämpft hatte,
rief an Bashirs Grab bewegt dazu auf, den gemeinsamen Kampf fortzusetzen.
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