Operation Sea-Watch Flüchtlingsrettung im Mittelmeer
Ein
knappes halbes Jahr dauerte die Vorbereitung und Planung. Dann startete
die MS Sea-Watch zum
ersten Mal am 20. Juni 2015 ins Mittelmeer, um Flüchtlingsbooten
vor der Küste Libyens Hilfe zu leisten. Heute, am 6. November, bricht
eine neue Sea-Watch Crew in Richtung Lesbos
auf, um die Rettungseinsätze in der Ägais fortzusetzen.
Die Möglichkeiten dieser privaten und von wenigen Menschen selbstorganisierten
Initiative sind zwangsläufig begrenzt. Trotzdem hat die Sea-Watch
in den letzten Monaten einiges erreicht. Sie rettete über 2000 Flüchtlingen
das Leben und erhöhte gleichzeitig den Druck auf die zuständigen
Institutionen, ihrerseits Rettungsmaßnahmen wieder aufzunehmen.
Im September beendete die Crew 7 der Sea-Watch für dieses Jahr Ihre
Einsätze im Mittelmeer. Wir dokumentieren den Abschlussbericht von
Harald Höppner, von Ruben Neugebauer erhielten wir die Bilder für
den Fotorückblick auf die bisherigen Sea-Watch-Einsätze. Vielen
Dank dafür!
Vorgeschichte
Nach Ende der italienischen Marineoperation Mare Nostrum, die mehr
als 120.000 Menschen im Mittelmeer das Leben rettete, startete die Frontex-Operation
Triton. Flüchtlinge in Seenot sollten künftig auf Anordnung
von Frontex Chef Klaus Rösler
nur noch unmittelbar an der Küste gerettet werden. Die Folge waren
verheerende Boots-Katastrophen mit tausenden ertrunkenen Flüchtlingen.
Ein Aufschrei der Empörung ging durch die Öffentlichkeit. In
dieser Situation gründete der Brandenburger Harald Höppner mit
seiner Frau, zwei befreundeten Paaren und weiteren Mitstreitern das Sea-Watch-Projekt,
eine zivile europäische Seenotrettung für Flüchtlinge im
Mittelmeer. Sie
arbeiteten zusammen mit den Crews von Médecins Sans Frontières
und MOAS und trafen auf andere antirassistische Initiativen, die dem Massensterben
auf dem Mittelmeer ebenfalls nicht tatenlos zusehen wollten, wie borderline-europe,
ffm und dem Alarm
Phone, das beinahe täglich Anrufe erhielt von Flüchtlingen
in Seenot und diese weiterleitete. Ein Netzwerk gegen die Ignoranz der
eigentlich für die Seerettung Verantwortlichen.
Abschlussbericht
der Crew 7 von
Harald Höppner
Mit der
Hilfe von vielen engagierten Helfern haben wir es innerhalb von 10 Monaten
geschafft, eine Idee in die Tat umzusetzen: Wir haben in Holland ein Schiff
gekauft, dieses mühsam in Hamburg umgebaut, es dann um ganz Europa
herum bis nach Lampedusa gefahren, um von dort bis an die libyschen Hoheitsgewässer
in 7 Einsätzen insgesamt 2.000 Menschen zu retten.
Es war für mich und alle anderen eine der größten Herausforderung
des Lebens und wir mussten mühsam viele Klippen umschiffen und uns
gegen Besserwisser und Schlechtmacher behaupten. Am Ende siegte das Gute
und wir haben bewiesen, dass es auch mit einfachen Mitteln möglich
ist, Menschenleben zu retten. Als wir losfuhren, hätte ich gerne
gute EU-Flüchtlingsarbeit dokumentiert, aber wir mussten feststellen,
dass die Rettungsarbeiten hauptsächlich von der italienischen Küstenwache,
Ärzte ohne Grenzen, Moas und uns durchgeführt wurden. Die vielen
Kriegsschiffe von Eunavor, Triton und Frontex sahen wir selten bzw. gar
nicht bei den Such- & Rettungseinsätzen.
Einsatzbericht der Crew 7
Ich möchte Euch als Mitbegründer und Teilnehmer der letzten
Ausfahrt der Saison 2015 gerne einen Abschlussbericht geben.
Start
am 17. September
Als wir am 17. September losgefahren sind, konnten wir schon die Herbstlaunen
des Wetters vor Lampedusa spüren. Stetiger Wechsel von Wind &
Welle gehört zur Jahreszeit und bestimmt auch den Flüchtlingsstrom
übers Mittelmeer. Wir fuhren los, als sich das Wetter besserte und
kamen 30 Stunden später im Zielgebiet an. Schon am ersten Nachmittag
sahen wir dunkle Rauchwolken am Himmel. Sie stammten von abgebrannten
Flüchtlingsbooten, die manchmal vom Militär nach einer Rettung
verbrannt werden. Wir wussten daher sofort, hier sind wir richtig.
Einsätze
am 19. September
Am nächsten Morgen um 5 Uhr bekamen wir auch schon den ersten
Anruf vom MRCC Rome mit der Position eines Flüchtlingsbootes, welches
wir dann ansteuerten. Kurz nach Sonnenaufgang entdeckten wir es, fuhren
mit unserem Beiboot hin und versorgten die Flüchtlinge, die sich
in einem guten Zustand befanden, mit Rettungswesten. Ca. 1,5 Stunden später
kam die Phönix von MOAS und nahm die Flüchtlinge an Bord. Kaum
hatten wir die Rettungswesten wieder von der Phönix zurückbekommen,
kam der nächste Notruf, ca. 5 sm weiter entfernt. Wir machten wieder
das RIB klar und fuhren sofort los. Leider waren die Flüchtlinge
in diesem Schlauchboot in einer wesentlich schlechteren Verfassung, da
sie zu der Zeit bereits seit über 30 Stunden auf dem Meer trieben
und 2 Nächte alleine auf dem Meer verbrachten. Zahlreiche Personen
waren dehydriert und kurz vorm Umkippen.
Glücklicherweise hatte sich auch die italienische Küstenwache
auf den Weg gemacht und traf kurze Zeit später ein, nachdem wir bereits
die Migranten mit Schwimmwesten und Trinkwasser versorgt hatten.
Um das Boot zu stabilisieren, haben wir die Migranten dazu aufgefordert,
die Benzinkanister über Bord zu geben, um das Schiff von Gewicht
zu entlasten, welches schon deutlich an Luft verloren hatte. In diesem
Zustand hätten die Menschen die nächsten 12 Stunden wohl nicht
überstanden.
Als sie von der Küstenwache abgeborgen wurden, erreichte uns der
3. Notruf an diesem Vormittag. Das Beiboot startete sofort zu dem 8 Seemeilen
entfernten Zielpunkt. Nach 20 Minuten bekamen wir über Funk die Nachricht
von unserem Beiboot, dass es sich bei dem gesichteten Objekt um ein bereits
gesunkenes und zuvor evakuiertes Flüchtlingsboot handelt.
Wir packten danach wieder alles aufs Schiff und verbrachten den Rest des
Tages mit der Suche nach weiteren Booten, fanden aber keine.
20.
September
Am nächsten Tag verschlechterte sich das Wetter und unsere Sea-Watch-Leitstelle
schickte uns eine Wetterwarnung. Wir entschieden uns, umgehend einen Nothafen
in Tunesien (Zarzis) anzulaufen, um dort abzuwettern. Auf dem Weg dorthin
fuhren wir die ganze Zeit an der libyschen 24 Meilengrenze entlang, wo
uns dann kurz nach Sonnenaufgang ein riesiges Kriegsschiff begegnete.
Kurz danach kam auch gleich ein Militärhubschrauber angeflogen, der
uns und die Meaalofa ausgiebig inspizierte. Einen Funkkontakt zu den Militärs
gab es nicht.
Kurz bevor das Schlechtwetter begann, fuhren wir in den Hafen von Zarzis
ein und wurden dort herzlich begrüßt. Wir nutzten die Zeit
an Land, um Erkundigungen für einen Winterhafen für die Sea-Watch
einzuholen und machten Bekanntschaft mit der tunesischen Kultur. Es entstand
der Wunsch, hier eventuell das Winterlager für die Sea-Watch
aufzuschlagen.
Nachdem Wetterbesserung in Sicht war, fuhren wir wieder in unser Suchgebiet
und hatten spiegelglatte See, als wir im SAR-Gebiet eintrafen. Den ganzen
folgenden Tag verbrachten wir mit der Suche, konnten aber kein Flüchtlingsboot
sichten. In den folgenden Tagen meinte es das Wetter nicht so gut mit
uns und wir mussten uns eine ganze Nacht durch hohe Wellen kämpfen,
was einen Teil der Mannschaft ermüdete. Die Aussicht für die
nächsten Tage sagte, dass es unruhig bleiben würde und wir entschlossen
uns, zurück nach Lampedusa zu fahren.
Ab
25. September
Dort angekommen, haben wir die verbleibende Zeit dafür verwendet,
das Schiff für den Winterhafen klar zu machen, alles Material &
Rettungsequipment zu verstauen und das Basiscamp der vergangenen Monate
aufzulösen.Ein Teil der Crew nutzte schließlich ein sich auftuendes
Wetterfenster, um das Schiff wieder auf die andere Seite des Mittelmeers
in den Winterhafen nach Djerba zu bringen. Unser Arzt Robel hat sich bereit
erklärt, den Transporter mit dem restlichen Material zurück
nach Berlin zu bringen. Durch diese Umstände ist es uns gelungen,
relativ zügig die Saison abzuschließen und alles zu einem guten
Ende zu bringen.
Ich bedanke
mich nochmals bei den vielen Helfern, die dieses Projekt möglich
gemacht haben. Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr mit einem seetüchtigeren
Schiff wieder unsere Arbeit aufnehmen können es sei denn,
es gibt bis dahin legale Wege für die Flüchtenden nach Europa.
Wie wir im Herbst bzw. Winter aktiv bleiben werden, geben wir bald bekannt.
Harald
Höppner (Foto: Federica Mameli)
Update vom 6.11.2015: Eine neue Sea-Watch
Crew macht sich auf den Weg nach Lesbos. Heute (06.11.2015) wird das für
den Rettungseinsatz in der Ägäis ausgerüstete Schnellboot
von Hamburg aus in den Einsatz starten. Ab 10.00 Uhr findet am Lotsekai
in Hamburg-Harburg eine Pressekonferenz statt, an dem Ort, von dem auch
die Sea-Watch 1 ins Mittelmeer startete. Anschließend wird das Boot
verladen und Richtung #Lesbos
aufbrechen. (Presseerklärung)
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