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Montagsdemos in BerlinSeit zwei Monaten
gehen jeden Montag zehntausende in rund 200 Städten gegen Hartz IV
auf die Straße, seit dem 16. August auch in Berlin. Die TeilnehmerInnenzahlen
sind rückläufig - ein stärkeres Übergreifen des Protestes
in westdeutsche Städte ist nicht gelungen. Und doch beeindruckt die
Hartnäckigkeit, mit der in vielen Orten die Menschen auf die Straße
gehen. Ihre Gründe und ihre Forderungen stellen sie recht unkonventionell
auf selbstgemalten Schildern dar. Jochen Gester hat die bisherigen Demos
in Berlin fotografisch begleitet. Im untenstehenden Bericht dokumentieren
wir seine Fotos und Eindrücke. Vielen Dank dafür. |
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Was
war bemerkenswert an den bisherigen Montagsdemonstrationen? Ich habe an allen Montagsdemos bis zum 21. September teilgenommen. Ich bin selber betroffen und auch nicht unrepräsentativ für die, die hier demonstriert haben. Jedenfalls ist dies dem Ergebnis des Fragebogens zu entnehmen, dass ein Forschungsteam des WZB DemoteilnehmerInnen beantworten ließ. Danach befand sich die Mehrheit der Demonstrierenden in der Altersgruppe zwischen 45 und 64 Jahre, war überdurchschnittlich ausgebildet und begreift sich selbst - zumindest war dies für Berlin überdeutlich - ohne Einschränkungen politisch als "links"; ist eindeutig partizipationsorientiert und ohne wenn und aber gegen die sog. Hartz-Reformen. Die Unterwanderung der Demo durch Rechte hatte in Berlin keine Chance. Die Kritik an Hartz war weitgehend eine soziale und keine rechtdemagogische. Dies spiegelt sich auch in den vielen kleinen selbstgebastelten Schildern wider, die ich mit meiner Kamera eingefangen habe. Ich wollte wissen, was die Leute bewegt, die kommen, weil sie direkt betroffen sind und weniger, weil sie irgendwo Mitglied sind und ihr "Vereinsvorstand" zur Demo aufgerufen hat. Was die organisierte Linke denkt und auf Transparenten durch die Gegend trägt, ist mir bekannt. Dies ist nicht ohne Bedeutung. War für mich jedoch nicht das eigentlich Spannende. Der erste Eindruck, den ich hatte beim Auftakt der Demos am 16.8, war: Hier demonstrieren in einem ungewöhnlichen Umfang Leute, die man sonst nicht auf Demonstrationen sieht. Hier sind endlich die, die gemeint sind und sich herausgefordert fühlen und nicht nur die, die sich angewöhnt haben im Namen der sonst "Sprachlosen"zu sprechen. Die ersteren haben die Auftaktdemonstration geprägt und zum Teil die direkt folgenden. Das ließ sich auch an den Zahlen ablesen. Auf der Basis von Minimal und Maximalschätzungen von Indymedia und eigenen Eindrücken gehe ich davon aus, dass am 16 und 23. August in Berlin etwa 20-25 000 TeilnehmerInnen auf der Strasse waren, danach brach die Zahl am 30.8. auf 15 000 ein, um jedoch am 6.9 erneut auf etwa 20 000 zu steigen. Danach sanken die Demozahlen erst auf 10 000 und dann darunter. Ich gehe davon aus, dass sie am 27. September erneut sinken und der 2. Oktober keine generelle Wende bringt. Auch wenn davon auszugehen ist, dass viele der selbst gefertigten Schilder auch von aktiven linken Leuten gemacht wurden und vielleicht nicht gerade von jemandem, der zum ersten Mal auf eine Demo geht, ist es augenfällig, dass das tragende Motiv die Angst vor wachsendem Risiko erzwungener Verarmung ist, verbunden mit dem demütigenden Charakter der Reformen. Ein durchaus repräsentativer Schildertext enthielt den Spruch "Vom Arbeitsmarkt zum Sklavenmarkt ist es nur ein Katzensprung". Hartz IV wurde als "modere Lohnsklaverei" bezeichnet. Die Assoziation an den Reichsarbeitsdienst kam immer wieder. Oder es hieß einfach "Hartz IV ist Menschenverachtung". Jemand malte den grossen Reformator mit schwarzer Kapuze, der "Armut, Unfreiheit und Ausbeutung" bringt. Erkannt wurde auch die ausgrenzende Zielsetzung der Regierungspolitik. Motto: "Bei Hartz IV stehen sie in der letzten Reihe" oder "Ulbricht 1961 - Hartz heute - niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen". Der berüchtigte Hartz-Fragebogen ließ bei einigen Erinnerungen an die Stasi wach werden. Ein Transparent erinnerte an die deutschen Erfahrungen mit der Schaffung von "Menschen 2.Klasse". Spürbar war die Verbitterung, die auch keinen Raum mehr ließ für den sonst noch verbleibenden Respekt vor Prominenten. Motto: "Schröder, du kannst uns mal am Hartz..." Aufgestoßen hat auch der vormundschaftliche und arrogante Stil der "Volkserzieher" aus dem Willy-Brand-Haus, die ein Vermittlungsproblem haben wollen. Antwort auf dem Sandwich einer jungen Frau: "Erklärungsbedarf - für wie blöd haltet ihr uns eigentlich?" Eine Frau im fortgeschrittenen Alter, die gut in die Jakobs-Werbung für die Krönung" gepaßt hätte, hatte sich ein Sandwich gemalt, das vorne das berühmte, auch von der Politik bemühte Werbemotto zeigte: "Ich habe verstanden". Auf der Rückseite stand dann: "Deshalb bin ich hier". Keiner weiss, wie
der Kampf gegen die Konterreformen der Agenda 2010 weitergehen werden,
ob jetzt eine Aktionspause eintritt und was die in Bewegung geratenen
Leute aus ihren Erfahrungen für Schlüsse ziehen, ob sich Formen
der Selbstorganisation entwickeln, die mehr Perspektive enthalten als
ihr Einsammeln als Parteigänger. Vielleicht war es das eigentlich
Positive dieser Aktionen, dass hier Betroffene gemeinsam einträglich
nebeneinander auf der Strasse demonstriert haben, die sonst eher im
Alltag ihre jeweiligen Vorurteile übereinander pflegen und so beginnen
sich gesellschaftlich neu zu orientieren, weil sie spüren, dass
die alten "Schutzmächte" sie abgeschrieben haben. Dies
wäre eine Entwicklung, die gerade für die Frontstadt Westberlin,
die diese "Lager" stets gegeneinandergetrieben hat, eigentlich
nicht zu unterschätzen ist. |
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