Refugees in der Gerhart
Hauptmann Schule - Räumung und Widerstand
Am späten
Mittwochabend haben Flüchtlinge und Bezirksamt eine
Vereinbarung unterzeichnet. Den Refugees wurde ein Bleiberecht im
oberen Teil der Schule zugesagt, der untere Teil der Schule soll mit Wachschutz
gesichert und zu einem »internationalen Flüchtlingszentrum«
umgebaut werden. Der Bezirk hat daraufhin den Räumungsauftrag an
die Polizei zurückgenommen, die Absperrungen wurden abgebaut.
»Now relax. But dont relax too long, because our fight is
not over.« kommentierte eine Bewohnerin der Schule gegen 23 Uhr
das Verhandlungsergebnis. Denn zufrieden sind die Flüchtlinge mit
der unter massivem Räumungsdruck zustande gekommenen Regelung nicht
ihre zentrale Forderung nach einem dauerhaften Bleiberecht in Deutschland
nach § 23 bleibt weiterhin unerfüllt.
(Siehe: Ein paar Worte zu der »Einigung« von gestern Abend,
Kommentar zum Verhandlungsergebnis weiter unten)
Nach eineinhalb Jahren
sollten etwa 250 Flüchtlinge ihre derzeitige Unterkunft, die Gerhart-Hauptmann-Schule
in Kreuzberg, verlassen. Für sog. friedliche und freiwillige "Umzugsmaßnahmen"
hatte der Bezirk für den 24. Juni 900 Einsatzkräfte der Polizei
angefordert und sich damit eine nicht mehr überschaubare Räumung
eingehandelt. Denn viele der Geflüchteten gingen nur unter Protest
und einige Dutzend Aktivist_innen wollen sich gar nicht räumen lassen.
Sie besetzten das Dach der Schule und verhinderten damit die Räumung
des Gebäudes.
Polizei und das Bezirksamt Kreuzberg schotteten die Geflüchteten
daraufhin ab, Pressekonferenzen wurden nicht genehmigt und Pressevertreter
nicht ins Haus gelassen, das Gebiet rund um die Schule wurde weitläufig
abgesperrt. Wer aus der Schule hinausging, aus welchen Gründen auch
immer, kam nicht mehr zurück. Mit Mobiltelefonen hielten die BesetzerInnen
Kontakt mit der Außenwelt. Die erste Pressekonferenz konnte über
Skype stattfinden. Dort bekräftigten die Geflüchteten, das sie
entschlossen sind auszuharren bis ihre beiden Kernforderungen erfüllt
sind: Bleiberecht nach §23 und Rückzug der Polizei.
Während auf der einen Seite die Polizeipräsenz und die Absperrungen
absurde Ausmaße annehmen, steigt der Unmut bei den AnwohnerInnen
und die Unterstützung für die verbliebenen Refugees in der Schule
wächst.
Sechs Fotostrecken mit Eindrücken aus den letzten Tagen:
Refugees besetzen Dach der Gerhart Hauptmann Schule (24.6 und 25.6.),
Impressionen
rund um die Räumung (24.6. bis 27.6),
Polizeiübergriff (am 24.6). Solidaritätsdemo
für die Geflüchteten (Samstag, den 28.6.), Refugee
Schul- und Unistreik - Demo für ein Bleiberecht der Geflüchteten
(1.7.) und Proteste
gegen die Räumung (28.6. - 2.7.)
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Räumung
und Belagerung der Gerhart Hauptmann Schule
weitere 45 Fotos :
Impressionen aus
den ersten Tagen
Hier die Bilder
als Diashow (html-Version)
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Fotos:
Andrea Linss, Christina Palitzsch, Oliver Feldhaus, heba, neuköllnbild |
»Now relax.
But dont relax too long, because our fight is not over.«
(Bewohnerin, 2. Juli, 23 Uhr) Ein paar Worte zu der »Einigung«
von gestern Abend.
Gestern abend um halb
zehn traten mehrere BewohnerInnen vor das Tor der Gerhart-Hauptmann-Schule
in der #Ohlauer Straße und präsentierten das Verhandlungsergebnis
mit dem Bezirk. Berliner und überregionale Medien, BezirkspolitikerInnen
und die Polizei hatten bereits am Nachmittag gemeldet, es habe eine Einigung
gegeben; zu diesem Zeitpunkt erklärten die BewohnerInnen noch, einig
sei man sich über das Ergebnis keineswegs.
Um halb zehn präsentierten mehrere BewohnerInnen der Schule und die
als VermittlerInnen tätige LandespolitikerInnen (plus Ströbele)
den versammelten MedienvertreterInnen das Verhandlungsergebnis. Im Kern
bedeutet es: Die BewohnerInnen können in einem Teil der Schule bleiben,
während diese renoviert und zu einem »internationalen Flüchtlingszentrum«
umgebaut wird (was auch immer das bedeutet), sie erhalten Hausausweise,
Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, und ihre Akten werden
nach Berlin überstellt. Die Schule wird nicht geräumt, eine
rechtliche Verfolgung der BewohnerInnen im Zusammenhang mit der Besetzung
soll es nicht geben. Der Bezirk soll die BewohnerInnen bei ihrem weiteren
Kampf für ein Bleiberecht gegenüber dem Senat unterstützen.
(http://ohlauerinfopoint.wordpress.com/2014/07/02/transkription-der-verlesung-der-vereinbarung-mit-dem-bezirksamt)
Nur gibt es mit der
»Einigung« ein paar Probleme. Erstens: Ein Bleiberecht, die
wichtigste Forderung der BewohnerInnen der Gerhart-Hauptmann-Schule, beinhaltet
die Vereinbarung nicht. Ein solches könnte Innensenator Frank Henkel
(CDU aussprechen, aber der will nicht. Diese Forderung war somit gar nicht
Gegenstand der Verhandlungen, Henkel hat sich entzogen. Zweitens bringt
die Einigung nicht allen BewohnerInnen etwas bei denjenigen zum
Beispiel, die sich illegal in Deutschland aufhalten oder deren Asylanträge
bereits abgelehnt wurden, gibt es nichts zu prüfen, auch nicht »wohlwollend«
zu prüfen. Drittens ist derzeit noch völlig unklar, was aus
jenen wird, die seit neun Tagen obdachlos sind, die in der Schule gewohnt
haben, zum Zeitpunkt der Räumung aber nicht anwesend waren. Ihre
Sachen sind teilweise noch in der Schule, ihre Dokumente, seit Tagen ziehen
sie von Schlafplatz zu Schlafplatz. Was gilt für sie? Das ursprüngliche
»Angebot« des Bezirks? Die »Einigung«? Gar nichts?
Viertens sind nicht alle BewohnerInnen der Schule mit dem Ergebnis einverstanden.
Mindestens zwei Personen haben der Einigung widersprochen, möglicherweise
mehr, das war gestern Abend nicht abschließend zu klären. Da
die Vereinbarung auch ein paar praktische Folgen hat (Einlasskontrolle,
Hausausweise, Wohnbereich etc.), stellt sich die Frage, wie sie letztlich
durchgesetzt werden soll. Der Bezirk spekuliert wohl auf eine Lösung
à la Oranienplatz: Ein Teil der Gruppe setzt das Ergebnis gegen
den anderen durch. Der Bezirk selbst ist aus dem Schneider, er hat ein
Ergebnis verhandelt.
Ein Bewohner der Schule
erklärte denn auch, man sei traurig über das Ergebnis, weil
es kein Bleiberecht gebe. Auf einer Telefonübertragung vom Dach der
Schule zu den UnterstützerInnen an der Ecke Ohlauer/Reichenberger
Straße im Anschluss an die Präsentation gab es gemischte Gefühle:
Erleichterung, dass die unmittelbare Räumungsdrohung zurückgenommen
wurde, und Enttäuschung, dass es kein Bleiberecht gibt. Alle BewohnerInnen
sind extrem geschwächt und angespannt, seit Tagen schlafen sie kaum
mehr als zwei Stunden, das ewige Hin und Her, Räumung oder nicht
Räumung, war eine große Belastung. Eine Bewohnerin der Schule
bedankte sich unter Tränen bei den UnterstützerInnen, erklärte
aber auch: »Now relax. But dont relax too long, because our
fight is not over.«
Die BewohnerInnen
der Gerhart-Hauptmann-Schule haben sich ein vorläufiges Bleiberecht
für die Schule erkämpft, sie haben sich erfolgreich dagegen
gestemmt, dass dieses Kapitel sang- und klanglos abgeschlossen werden
kann. Sie haben sich einmal mehr Gehör für ihre Forderungen
verschafft, und sie haben große Unterstützung und viel Solidarität
in der Nachbarschaft mobilisiert. Das ist etwas, damit kann man weitermachen.
Nun ist Wachsamkeit nötig, was die Umsetzung der Einigung angeht
(beim Oranienplatz war sie schon ein paar Wochen später das Papier
nicht mehr Wert, auf dem sie geschrieben war). Außerdem brauchen
diejenigen BewohnerInnen, die in den letzten Tagen obdachlos geworden
sind, Unterstützung; was mit ihnen geschieht, ist keine Nebensächlichkeit.
Und es braucht weiter öffentlichen Druck für ein Bleiberecht
nach Paragraf 23. Der Kampf für ein Aufenthaltsrecht in Deutschland
und gegen die deutsche und europäische Asylpolitik ist noch lange
nicht vorbei.
Wie es weitergeht,
erfahrt ihr zum Beispiel beim Ohlauer Infopoint (bzw. auf http://ohlauerinfopoint.wordpress.com/)
und www.aktionsticker.org. Am Samstag um 14 Uhr ist eine große Demonstration
ab Hermannplatz geplant; spätestens da sehen wir uns wieder.
(Übersetzung aus
dem Englischen: ak
analyse & Kritik)
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Fotos:
neuköllnbild
Von Beginn der Räumung an versammelten sich viele Menschen
an den Absperrgittern, um gegen den Polizeieinsatz zu demonstrieren.
Am ersten regnerischen Nachmittag wurde ein Aktivist von zwei Polizeibeamten
unvermittelt auf die abgesperrte Seite gezogen und aus Sichtweite
der Demonstranten gebracht. Dort wurde er von den Polizisten maltraitiert
bis er bewußtlos wurde. Ein Rettungssanitäter behandelte
ihn. Anschließend brachten ihn die Polizisten zur Absperrung
zurück und ließen ihn dort liegen. Ein Grund für
diese Behandlung war nicht ersichtlich, da von dem Betroffenen weder
Personalien aufgenommen noch Anzeige gegen ihn erstellt wurde.
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Ausschnitt aus
der Einladung zur Pressekonferenz (24.6.):
"Wir sind Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und nun
auch hier in Deutschland wieder vertrieben werden sollen. Wir brauchen
die Schule - auch wenn die Bedingungen noch so schlecht sind, denn das
ist immer noch besser als ein Lager, in dem wir von der Bevölkerung
und damit auch der Öffentlichkeit isoliert sind.
Und: wir trauen den Versprechen des Senates nicht mehr! Es hat sich gezeigt,
dass die Zusagen des Berliner Senats nur dazu gedient haben, uns unser
- für alle sichtbares - Zentrum zu nehmen und die Bewegung zu zerstreuen
und unseren Widerstand zu brechen. Die Beweise dafür haben wir und
es wird nichts helfen, dass man jetzt wieder auf dieselbe Art mit einer
Mischung aus Angeboten und Drohungen versucht, uns zu überreden,
auch noch die Schule aufzugeben.
Sie müssen auch wissen, dass viele von uns nichts zu verlieren haben.
Aufgrund der Geschichte dieses Landes und dieser Stadt sollte eigentlich
klar sein, dass man Menschen nicht auf Dauer ihrer Grundrechte berauben
und ihnen dann dafür auch noch die Verantwortung zuschieben kann.
Grundlegende Menschenrechte sind nicht verhandelbar! Mit Menschen, die
mit dem Rücken zur Wand stehen und in den meisten Fällen durch
ihre Migrationsgeschichte und die ständige Unsicherheit sowie das
Wissen um das Leid ihrer Familien traumatisiert sind, zu spielen und sie
als Manövriermasse im politischen Poker zu gebrauchen ist zynisch!
Und es hat eben auch dazu geführt, dass einige nun lieber sterben
wollen, als diese Schule zu verlassen, so schäbig sie auch sein mag."
Statement from the rooftop of the refugee school top (26.6.):
Boom ! We say it clear: We don't leave the building until we obtain papers
for everyone in the building. As soon as we get our right to stay, we
are ready to leave the school peacefully. We don't want too much talk,
we want clear results and garantues:
This is the cost of bad experiences with the negotiations with the Senat
and the Bezirk. Senator Kolat has promised a transfer of the asylum cases
to Berlin A six month Duldung, access to the job market, to education
and German lessons. Currently, none of these five points have been reached
and ten people who are on the list of the Oranienplatz agreement are facing
deportation. Two month after, no one got the transfer and the Duldung
is ignored by the Ausländerbehörde. This is why we don't accept
no negotiations anymore and put the German and Berlin authorities in front
of their responsibilities.
The Senat has lied the District is lying:
People who were registering on Tuesday have been refused a place in the
new Lagers! Cleary, they free themselves from any responsibilities in
case something happens. But they are all responsible now: Henkel, Herrmann,
Kolat, Panhoff. So the district should respect the people struggling inside
the school and let them exercise their basic political rights (freedom
of speech) and let the press come in until Henkel and de Mazière
give us the documents: Both are able to give us a residence commit §23
Aufenthaltsgesetz
We are everywhere! Support and solidarity come from all around the world.
Demonstrations have been made in 6 German cities and in Istanbul. For
solidarity banners has been hanged up on the surrounding buildings and
even one in New York. All the streets around the school have been blocked
by the supporters to hold the police cars back. We are kept isolated no
press, no internet, just enough food for one day and no medicines go through
the police check point. They block anybody entering with internet stick.
Their intension is to criminalize us and to show the public only their
own perspective. This is why they prevent us from talking to the press.
They need to make us look like terrorists. Some inhabitants of the school
who want to access the entrance are also still blocked at the gate.
SAY IT LOUD SAY IT CLEAR HENKEL BRINGS US PAPERS HERE!
Freedom of media is not respected though it is the most basic form of
democratic society! The journalists has been refused at the negotiations
between the Senat and the Bezirk. Is this the German democracy? We say
it clear to Henkel! We will take untill tomorrow 3pm to discuss and analyze
his offers with our lawyers and our answer to it will not be given without
press.
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Fotos:
heba/Umbruch Bildarchiv
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Flüchtlinge
besetzen das Dach der Gerhart Hauptmann Schule und verhindern
damit die Räumung des Gebäudes.
Fotos:
Andrea Linss, Christina Palitzsch
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Trotz
kurzfristiger Mobilisierung kamen am Samstag rund 5000 Menschen
zu einer Solidaritätsdemonstration für die verbliebenen Besetzer.
Sie forderten den Abzug der Polizei aus dem Kiez, die Anerkennung der
Schule als selbstverwaltetes Zentrum, ein humanitäres Bleiberecht
nach Paragraph 23 des Aufenthaltsgesetzes sowie die Abschaffung der
Residenzpflicht. Die OrganisatorInnen hatten vorab
lediglich 500 Teilnehmer erwartet.
Fotos:
Andrea Linss, Christina Palitzsch
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Refugee
Schul & Unistreik - Demo für ein Bleiberecht der Geflüchteten
Etwa 2.000 Schüler*innen demonstrierten am 1. Juli 2014 vom Alexanderplatz
zum Spreewaldplatz in Kreuzberg in die Nähe der Gerhart Hauptmann
Schule.

Fotos:
Andrea Linss, Christina Palitzsch, Oliver Feldhaus, heba, neuköllnbild
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Am
Abend des 2. Juli unterzeichnen Flüchtlinge öffentlich eine
Vereinbarung
mit dem Bezirksamt. Die Räumung wird daraufhin abgesagt.
»Now relax. But dont relax too long, because our fight is
not over.«
Eine Fotoserie über die Proteste rund um die Gerhart Hauptmann
Schule.
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