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THE RISING NEPAL, die täglich erscheinende Hauptstadtzeitung,
datierte: March, 25, 1991 und in Klammern: Chaitra 11, 2O47, Monday.
Sie sehen, in diesem Land hat man hat zwei Zeitrechnungen, und in
der zweiten befindet man sich bereits im Jahr 2047. Den Einstieg in
das zweite Jahrtausend hat man hier im Himalajastaat chronologisch
gesehen vollzogen, aber nicht, was das Wohlbefinden der Menschen betrifft.
Täglich mahnte die Zeitung in fetter Blockschrift auf der Titelseite:
STAY AWAY FROM DRUGS AND TOBACCO!
Doch das Markenzeichen dieser Stadt: den Staub und den
krebserregenden Smog prangerte sie nicht an. Dabei hüstelte und
spuckte ganz Katmandu - vom Säugling bis zum neunzigjährigen
Greis. Der feine Staub drang in die Eingeweide. Gelbsucht und Tuberkulose
- darunter leiden viele Nepalesen - sind, so der Reiseführer,
die Folge unsauberen Trinkwassers. Gelbsucht wird unter anderem auch
durch Staub übertragen. Haufen von menschlichen Abfällen
lagerten in den Straßen, menschlicher und tierischer Kot.
"Zu den Zeiten der nepalesischen Hochkultur kannte man Kanalisation
und Müllabfuhr" - so der stets gut informierte Reiseführer.
Und heute, zu Zeiten der Hochzivilisation? Jeder Nepalese war in dieser
Zeit bereit, sein Testament zu machen, denn über Wochen fiel
kein Regen, der den grauen Staub irgendwie an den Boden binden mochte.
Ich war im POTALA GUESTHOUSE abgestiegen, und erst später
las ich in der Hauswerbung:
"OUR GUESTS KEEP COMING BACK, THERE MUST BE SOMETHING SPECIAL
ABOUT US!..."
Das Besondere war die blitzblanke Sauberkeit, die in dieser Absteige
herrschte - ein Labsal in einer Stadt, die in ihrem jämmerlichen
Schmutz erstickte. Den lieben langen Tag putzten und scheuerten vier
Nepalesinnen - in schwarzen Röcken und dunklen Bolerojäckchen
über wei-ßen Blusen - Treppen, Zimmer und Aufgänge.
Sogar die Außenmauern des GUESTHOUSE wurden täglich abgespritzt,
glänzten, vom Staub befreit, wie ein blanker Hühnerpopo
in der milchig-trüben Mittagssonne der vom Staub immer halb verdunkelten
Stadt.
Und der feine Staub, dieser lästige Wegbegleiter, aufgewirbelt
von unzähligen Jeeps, Lastern, uralten Bussen, Motorrädern
und Minitaxen, war der Alptraum des am Weltende liegenden und für
immer verlorenen Katmandu. Er drang in die Lunge, in die Seele, in
das Sonnengeflecht und bedeckte das Herz mit einem Flor von Traurigkeit.
Er schwamm in einer dünnen Schicht auf dem morgendlichen Tee.
Der Sand knirschte zwischen den Zähnen, legte sich wie grauer
Zuckerguß über Menschen und Häuser, über alles,
was tot war oder noch lebendig schien.
Wenn ich mir die plastikverpackten UNCLE-Kartoffelchips für sechs
Rupien beim Händler aus dem Körbchen griff, nahm der Nepalese
mir die Tüte lächelnd aus der Hand: "A moment, please!"
und verschwand hinten im Laden, um die Packung diskret zu entstauben.
In einer Nepalesen-Absteige, einer bescheidenen Imbißstube abseits
vom Tamel und seinem hektischen Touristenrummel, hatte ich mein abendliches
STAR BEER. Die nepalesischen Gäste ließen mich in Ruhe,
würdigten mich nur eines kurzen, erstaunten Blickes. Zum exzellenten,
gut gekühlten Bier wurde mir ein staubfreies Glas gereicht -
ein besonderer Service in dieser freundlichen Absteige. Es trug den
Aufdruck LIMCA.
Nie ist mir Reis weißer erschienen als jener,
der mir hier zum Dal Bat, dem täglichen Linsen-gericht, gereicht
wurde. Vor dem schmutzigen Grün der Wände, auf dem fleckigen,
staubigen Braun des alten Tisches und neben toten Fliegen strahlte
das jungfräuliche Weiß wie die unbe-rührten Schneegipfel
des Himalajas. Ja, es leuchtete noch weißer - es leuchtete in
dieser immer grauen Welt gleichsam überirdisch WEISS.
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