Umbruch Bildarchiv: Katmandu, Nepal -1993 / 1213i
© Fotos und Texte von Otto Göpfert


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1213i

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Im nächsten Jahrtausend

 

THE RISING NEPAL, die täglich erscheinende Hauptstadtzeitung, datierte: March, 25, 1991 und in Klammern: Chaitra 11, 2O47, Monday. Sie sehen, in diesem Land hat man hat zwei Zeitrechnungen, und in der zweiten befindet man sich bereits im Jahr 2047. Den Einstieg in das zweite Jahrtausend hat man hier im Himalajastaat chronologisch gesehen vollzogen, aber nicht, was das Wohlbefinden der Menschen betrifft.
Täglich mahnte die Zeitung in fetter Blockschrift auf der Titelseite:

STAY AWAY FROM DRUGS AND TOBACCO!

Doch das Markenzeichen dieser Stadt: den Staub und den krebserregenden Smog prangerte sie nicht an. Dabei hüstelte und spuckte ganz Katmandu - vom Säugling bis zum neunzigjährigen Greis. Der feine Staub drang in die Eingeweide. Gelbsucht und Tuberkulose - darunter leiden viele Nepalesen - sind, so der Reiseführer, die Folge unsauberen Trinkwassers. Gelbsucht wird unter anderem auch durch Staub übertragen. Haufen von menschlichen Abfällen lagerten in den Straßen, menschlicher und tierischer Kot.
"Zu den Zeiten der nepalesischen Hochkultur kannte man Kanalisation und Müllabfuhr" - so der stets gut informierte Reiseführer. Und heute, zu Zeiten der Hochzivilisation? Jeder Nepalese war in dieser Zeit bereit, sein Testament zu machen, denn über Wochen fiel kein Regen, der den grauen Staub irgendwie an den Boden binden mochte.

Ich war im POTALA GUESTHOUSE abgestiegen, und erst später las ich in der Hauswerbung:

"OUR GUESTS KEEP COMING BACK, THERE MUST BE SOMETHING SPECIAL ABOUT US!..."

Das Besondere war die blitzblanke Sauberkeit, die in dieser Absteige herrschte - ein Labsal in einer Stadt, die in ihrem jämmerlichen Schmutz erstickte. Den lieben langen Tag putzten und scheuerten vier Nepalesinnen - in schwarzen Röcken und dunklen Bolerojäckchen über wei-ßen Blusen - Treppen, Zimmer und Aufgänge. Sogar die Außenmauern des GUESTHOUSE wurden täglich abgespritzt, glänzten, vom Staub befreit, wie ein blanker Hühnerpopo in der milchig-trüben Mittagssonne der vom Staub immer halb verdunkelten Stadt.
Und der feine Staub, dieser lästige Wegbegleiter, aufgewirbelt von unzähligen Jeeps, Lastern, uralten Bussen, Motorrädern und Minitaxen, war der Alptraum des am Weltende liegenden und für immer verlorenen Katmandu. Er drang in die Lunge, in die Seele, in das Sonnengeflecht und bedeckte das Herz mit einem Flor von Traurigkeit. Er schwamm in einer dünnen Schicht auf dem morgendlichen Tee. Der Sand knirschte zwischen den Zähnen, legte sich wie grauer Zuckerguß über Menschen und Häuser, über alles, was tot war oder noch lebendig schien.
Wenn ich mir die plastikverpackten UNCLE-Kartoffelchips für sechs Rupien beim Händler aus dem Körbchen griff, nahm der Nepalese mir die Tüte lächelnd aus der Hand: "A moment, please!" und verschwand hinten im Laden, um die Packung diskret zu entstauben.
In einer Nepalesen-Absteige, einer bescheidenen Imbißstube abseits vom Tamel und seinem hektischen Touristenrummel, hatte ich mein abendliches STAR BEER. Die nepalesischen Gäste ließen mich in Ruhe, würdigten mich nur eines kurzen, erstaunten Blickes. Zum exzellenten, gut gekühlten Bier wurde mir ein staubfreies Glas gereicht - ein besonderer Service in dieser freundlichen Absteige. Es trug den Aufdruck LIMCA.

Nie ist mir Reis weißer erschienen als jener, der mir hier zum Dal Bat, dem täglichen Linsen-gericht, gereicht wurde. Vor dem schmutzigen Grün der Wände, auf dem fleckigen, staubigen Braun des alten Tisches und neben toten Fliegen strahlte das jungfräuliche Weiß wie die unbe-rührten Schneegipfel des Himalajas. Ja, es leuchtete noch weißer - es leuchtete in dieser immer grauen Welt gleichsam überirdisch WEISS.

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