Interview
mit Anett Lau, eine der OrganisatorInnen des Karnevals
über
Hintergründe, Betroffenheit und Selbstverständnis
Wann ist die Idee
für den Karneval der Galerien in welchem Zusammenhang entstanden?
Die Idee entstand nach unserem kürzesten Festivals der Saison "HELTER
SKELTER- ICH BREMSE AUCH FÜR KÜNSTLER" im Mai 2009. Henrik
Jacob, Künstler und Mitbewohner unseres Hauses, sowie Mitinitiator
unseres Vereins mit der Galerie KULTURPALAST WEDDING INTERNATIONAL brütete
sie aus. Das Festival hatte sich weit bis über die Stadtbezirksgrenzen
herumgesprochen, es kamen fast vierhundert Gäste. Der gute Geist
unseres Hauskollektivs ist seitdem so beflügelt, dass die Idee von
Henrik zu dieser Demonstration begeistert aufgenommen wurde und wir seit
August an der Umsetzung arbeiten.
Wie viele Künstler
habt ihr bisher zusammenbringen können?
Unser Künstleraufruf ging vorrangig an Galerien. Bis jetzt haben
19 fest zugesagt. Kurz vor Beginn entscheiden sich in der Regel noch viele
für eine Teilnahme. Ich rechne mit 500 Teilnehmern/innen.
Welche Aktivitäten
sind geplant
"Litekultur" wird "im Namen der Liebe" einen Einkaufswagen
dekorieren, der Kulturpalast selbst bringt drei Fahrzeuge: Kopacs Postbus,
Hausfreund Romanowskis Schlitten und eine Seifenkiste von Andreas Kotulla.
Inna Artemova kommt selbst als laufendes Bild, der Bundesvorsitzende der
Kulturpartei, Malte Brant, wird eine Rede halten und die Directorslounge
zeigt zur Abschlussveranstaltung einen screen. Ganz besonders freuen wir
uns über den Zusammenschluss mit den 50 in weiß gekleideten
Aktivisten des Kulturhauses Peter Edel und Wallywoods. Deren Demonstration
startet schon um 10.00Uhr in Weißensee und richtet sich gegen die
geplante Schließung ihres Kulturhauses.
Gibt es für
Euch eine aktuelle Betroffenheit ?
Das Haus, in dem wir hier als Gemeinschaft leben, wurde vor ca. einem
Jahr an die Blackbird Immobilien GmbH verkauft.. Da ging gerade die Finanzkrise
los und wir mutmaßten Kapitalanlage gegen Finanzverlust, seitens
der Käufer. Wir haben gehört, das diese Gesellschaft Häuser
kauft und wartet, bis deren Wert so weit gestiegen ist, dass sich ein
Wiederverkauf lohnt.
Viele von uns wurden aus Stadtteilen wie Prenzlauer Berg und Frierichshain
vertrieben. Wir lebten da schon lange vor der Wende bzw. sind dort aufgewachsen.
Und daher kennen wir Symptome und Vorzeichen solcher Stadteilkapitalisierungen.
Die Wohnungen des Hauses in der schon viel zitierten Ausgehmeile Kastanienallee
in Mitte zum Beispiel, in der ich vor 5 Jahren wohnte, wurden in Eigentumswohnungen
umgewandelt. So eine Art der Vertreibung habe ich jetzt schon drei mal
erlebt.
Damals tauchten auf der Kastanienallee ständig Filmteams auf. Bereits
mehrmals waren Filmteams auch bei uns in der Freienwalder Strasse, denn
hier gibt es noch so eine urtümliche Berliner Atmosphäre. Das
macht uns stutzig.
Wie entstand eure
Mietergemeinschaft?
In 2004 Jahren standen hier viele Wohnungen leer. Ein paar Leute von uns
haben das mitbekommen und dann den Freundeskreis zusammengetrommelt. Wir
sind uns mit der Hausverwaltung schnell einig geworden, haben das Haus
auf eigene Kosten instandgesetzt und zahlen dafür einen geringen
Quadratmeter-Preis. Zwölf von insgesamt neunzehn Mietparteien zählen
zu diesem Projekt. Wir sind Künstler, Musiker, Architekten und Fotografen.
Daraus hat sich dann das Kunstprojekt "Kulturpalast Wedding International"
herausgebildet. Im Erdgeschoss betreiben wir eine Galerie mit häufig
wechselnden Ausstellungen. Wir haben uns dann der Kolonie Wedding angeschlossen,
die einmal im Monat seit Jahren im ganzen Kiez Kunstveranstaltungen auf
die Beine stellen. Drei Galerien von der Kolonie sind bei den Vorbereitungen
mit dabei. Es tut gut hier im Kiez vernetzt zu sein.
Wie erlebst du
die Ausgehmeile Kastanienallee heute im Rückblick?
Dort ist es nicht nur wegen der steigenden Mieten nicht mehr auszuhalten.
Das neue Bildungsbürgertum spazierte damals sonntags im Schlafanzug
zum Bäcker, weil das so unspießig ist. Es wimmelt nur so vor
jung - dynamisch - erfolgreichen Töchtern und Söhnen, die dort
ihre elternfinanzierten Projekte durchführen. Dieser Stadtbezirk
ist völlig übersaniert. Man trifft keine alten Leute mehr auf
der Strasse. Es ist nichts mehr von der ursprünglichen Geschichte
zu spüren, wegen der es die Leute nach der Wende auf den Berg zog.
Aus diesem Grund war ich 2005 froh, in ein altersdurchmischtes Stadtgebiet
zu ziehen, hier in den Soldiner Kiez. Als Ex-Ossi bemerke ich dazu gern
mit einem Augenzwinkern: ich wohne jetzt das erste mal im kapitalistischen
Ausland. - Interview MvH -
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