Südindien, Farbimpressionen, 1993, Teil 2 / 1203y
Fotos und Texte von Otto Göpfert

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1203y

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Betäubend wie Schnee

 

Ich hatte einen Bus nach dem Ort Mananthajady genommen. Es war ein Pflichtbesuch, den ich auf den letzten Tag meines Aufenthalts verschoben hatte. Der alte CRTC-Bus quälte sich die engen Serpentinen in den Bergen zwischen den weiten Kaffeepflanzungen hoch. Millionen weißer Blütendolden hingen in den grünen Sträuchern wie dichter Schnee, und das kalte Winterweiß legte sich wie ein fahles Leichentuch auf meine fröstelnde Seele.
Ein Mann war mit mir in den Bus gestiegen, ein Wyanad-Mann mit langen, schwarzen Haaren, die er streng in den Nacken gekämmt trug und die in der Morgensonne fett nach BRISK glänzten. Er nahm in der Reihe vor mir Platz. Sofort, nachdem der Bus angefahren war, breitete sich ein strenger, betäubend süßlicher Geruch nach Jasmin im Wagen aus. Ich erinnerte mich an meine Freundin Sheeja und ihre Vorliebe für Jasmin-Parfüm. "Mein Parfüm ist zuuu süß! - tooo sweet!" hatte sie gelacht.
Der Mann vor mir mußte eine ganze Flasche von diesem betäubenden Duftstoff in seinem Haar verrieben haben, anders konnte ich mir diesen penetranten Geruch im Bus nicht erklären.
Es war gut, daß er beim nächsten Halt ausstieg, und ich atmete erleichtert auf - vielmehr atmete ich tief ein, um die, wie ich meinte, frische Morgenluft zu genießen. Der süßliche Geruch schien jedoch im Bus fest auf Sitzen und an Wänden zu kleben, und ich lehnte mich so weit aus dem Busfenster hinaus, daß die Zweige der vorbei gleitenden Kaffeebäume mein Gesicht streiften und die weißen Kaffeeblüten wie zarte Schmetterlinge in den Bus gesegelt kamen.
Wieder atmete ich tief ein - aber nicht die reine Bergluft, sondern den betäubenden, Jasmin ähnlichen Duft! Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Millionen Kaffeeblüten verströmten diesen Duft, der sich wie Öl klebrig auf die Haut legte. Es war das erste Mal, daß ich eine Kaffeeblüte erlebte, und ich mußte an Tania Blixens Roman "Jenseits von Afrika" denken und an ihr Leben auf ihrer Kaffeeplantage auf den Ngong-Höhen bei Nairobi in Kenia. Die Poesie ihres Romans war mir ins Herz gegangen. Aber ich erinnerte mich nicht, in ihrem Buch von dem Wunder der Kaffeeblüte gelesen zu haben.

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