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Immerhin sind an die fünfundzwanzig Prozent der Gläubigen
Keralas Christen. So weisen es die amtlichen Statistiken aus. Das
Christenkreuz ist in den Bergen und an der Küste häufiger
präsent, als es der Anzahl der Gläubigen entspricht. Immer
wieder schiebt es sich aufdringlich mit einem Glaubens-Alleinanspruch
in den Vordergrund: Kirchen an markanten, weithin sichtbaren Plätzen
auf Hügeln und an der Küste, in den Hafenstädten. Hoch
ragen sie über die Reisfelder, die weiten Plantagen, dominieren
in ihrem grellen Weiß, dem leuchtend gelben oder blauen Anstrich,
und es entsteht der Eindruck, als ob in Kerala auf jeden Gläubigen
ein Gotteshaus kommt.
Die Hindutempel, oft unauffällig in den Reisfeldern und zwischen
Kaffee- und Teeplantagen verborgen, abseits der Orte des täglichen
Lebens und oft am Rande des Dorfes, nehmen sich vergleichsweise bescheiden
aus, sind nicht aufdringlich missionarisch - entspräche das dem
Glauben? Doch geht von den Plätzen immer wieder eine stille Heiterkeit
aus, die man bei christlicher Glaubensstätten nicht empfindet.
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Manches vom Hindudekor hat die christliche Kirche - der importierte
Glaube aus einer kalten Welt - übernommen. So auch den farbigen
Einklang und die Palette der leuchtenden braun-gelben Hindufarben.
Eine Vielzahl christlicher Feste mit Gratisspeisungen, die durch Spenden
finanziert werden, findet statt, und die ernste, schwere Kirchenmusik
wird aufgelockert dargeboten im Tango- und Wiener Walzertakt. Auch
vor indischen Schlagern und Schnulzen als Glaubensköder macht
die Kirche nicht halt. Vielleicht empfindet sie sich selbst in der
heiteren, tropischen Welt des indischen Südens als unpassend
ernst. Unter blauem Himmel in der strahlenden Sonne mahnt das magere
Christenkreuz im kalten Schneeweiß an die Endlichkeit des Christmenschen.
Hart an den Straßen stehen die Kreuze auf stufenförmig
erbauten Podesten. Wer mag unter ihnen begraben sein? Millionenfaches
Leid pflastert den harten christlichen Glaubensweg.
Diese überflüssigen Kreuze säumen die Straßen
Keralas. Der Glaubenswerbefeldzug im Süden Indiens scheint von
einer gewieften Marketingfirma kreiert und gestartet worden sein.
Viel-leicht mit dem gleichen Schlachtplan wie für NESTLE MILKMAID-Dosen,
und an Stelle von SUNIL und WEISSER RIESE lockt nun das Christenkreuz
als Werbegag. Wahlkampf-Werbekampagnen werden in Europa unter gleichen
Kriterien gestartet.
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So geht auch die Kirche auf Stimmenfang. Alles ist austauschbar geworden,
käuflich und verrechnungsfähig und vor allem meßbar:
ein Meßbecher Wein, ein Meßbecher WEISSER RIESE: der Glaube
hängt schneeweiß und weithin sichtbar und zählbar
an den Wäscheleinen des Marketing in einem vernünftigen
Preis-Leistungs-Verhältnis. Jeder Gläubige wird mit gleich
hoher Rechnung zur Kasse gebeten - dem Armen gerecht. Denn die Reichen
zahlen doppelt in den Stock, aber sie bekommen dafür das Zehnfache
zurück - in SEINEM Namen. Für Ökonomie im christlichen
Glaubensalltag ist auch in der südindischen Welt gesorgt.
Ich erinnerte mich an meine Reise an die Küste und an den Jungen
aus dem Fischerdorf Kappad, der gerufen hatte: "Sir! Sehen Sie
das Denkmal auf dem Felsen? Dort ist 1498 der Portugiese Vasco da
Gama als erster Europäer in Südindien gelandet."
Ich hatte mit dem Kopf genickt und gedacht: Der Portugiese kam nicht
mit leeren Händen, sondern mit dem Kreuz in der einen Hand und
dem Schwert in der anderen. Und ich hatte den Boy gefragt: "Findest
du es gut, daß Vasco da Gama damals hier gelandet ist?"
Der kleine Wicht hatte mich ernst angesehen und den Kopf geschüttelt:
"No, Sir!"
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