Südindien, Farbimpressionen, 1993, Teil 2 / 1203q
Fotos und Texte von Otto Göpfert

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1203q

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"No, Sir!"

 

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Immerhin sind an die fünfundzwanzig Prozent der Gläubigen Keralas Christen. So weisen es die amtlichen Statistiken aus. Das Christenkreuz ist in den Bergen und an der Küste häufiger präsent, als es der Anzahl der Gläubigen entspricht. Immer wieder schiebt es sich aufdringlich mit einem Glaubens-Alleinanspruch in den Vordergrund: Kirchen an markanten, weithin sichtbaren Plätzen auf Hügeln und an der Küste, in den Hafenstädten. Hoch ragen sie über die Reisfelder, die weiten Plantagen, dominieren in ihrem grellen Weiß, dem leuchtend gelben oder blauen Anstrich, und es entsteht der Eindruck, als ob in Kerala auf jeden Gläubigen ein Gotteshaus kommt.
Die Hindutempel, oft unauffällig in den Reisfeldern und zwischen Kaffee- und Teeplantagen verborgen, abseits der Orte des täglichen Lebens und oft am Rande des Dorfes, nehmen sich vergleichsweise bescheiden aus, sind nicht aufdringlich missionarisch - entspräche das dem Glauben? Doch geht von den Plätzen immer wieder eine stille Heiterkeit aus, die man bei christlicher Glaubensstätten nicht empfindet.

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Manches vom Hindudekor hat die christliche Kirche - der importierte Glaube aus einer kalten Welt - übernommen. So auch den farbigen Einklang und die Palette der leuchtenden braun-gelben Hindufarben. Eine Vielzahl christlicher Feste mit Gratisspeisungen, die durch Spenden finanziert werden, findet statt, und die ernste, schwere Kirchenmusik wird aufgelockert dargeboten im Tango- und Wiener Walzertakt. Auch vor indischen Schlagern und Schnulzen als Glaubensköder macht die Kirche nicht halt. Vielleicht empfindet sie sich selbst in der heiteren, tropischen Welt des indischen Südens als unpassend ernst. Unter blauem Himmel in der strahlenden Sonne mahnt das magere Christenkreuz im kalten Schneeweiß an die Endlichkeit des Christmenschen. Hart an den Straßen stehen die Kreuze auf stufenförmig erbauten Podesten. Wer mag unter ihnen begraben sein? Millionenfaches Leid pflastert den harten christlichen Glaubensweg.
Diese überflüssigen Kreuze säumen die Straßen Keralas. Der Glaubenswerbefeldzug im Süden Indiens scheint von einer gewieften Marketingfirma kreiert und gestartet worden sein. Viel-leicht mit dem gleichen Schlachtplan wie für NESTLE MILKMAID-Dosen, und an Stelle von SUNIL und WEISSER RIESE lockt nun das Christenkreuz als Werbegag. Wahlkampf-Werbekampagnen werden in Europa unter gleichen Kriterien gestartet.

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So geht auch die Kirche auf Stimmenfang. Alles ist austauschbar geworden, käuflich und verrechnungsfähig und vor allem meßbar: ein Meßbecher Wein, ein Meßbecher WEISSER RIESE: der Glaube hängt schneeweiß und weithin sichtbar und zählbar an den Wäscheleinen des Marketing in einem vernünftigen Preis-Leistungs-Verhältnis. Jeder Gläubige wird mit gleich hoher Rechnung zur Kasse gebeten - dem Armen gerecht. Denn die Reichen zahlen doppelt in den Stock, aber sie bekommen dafür das Zehnfache zurück - in SEINEM Namen. Für Ökonomie im christlichen Glaubensalltag ist auch in der südindischen Welt gesorgt.
Ich erinnerte mich an meine Reise an die Küste und an den Jungen aus dem Fischerdorf Kappad, der gerufen hatte: "Sir! Sehen Sie das Denkmal auf dem Felsen? Dort ist 1498 der Portugiese Vasco da Gama als erster Europäer in Südindien gelandet."
Ich hatte mit dem Kopf genickt und gedacht: Der Portugiese kam nicht mit leeren Händen, sondern mit dem Kreuz in der einen Hand und dem Schwert in der anderen. Und ich hatte den Boy gefragt: "Findest du es gut, daß Vasco da Gama damals hier gelandet ist?"
Der kleine Wicht hatte mich ernst angesehen und den Kopf geschüttelt: "No, Sir!"

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