Südindien, Farbimpressionen, 1993, Teil 2 / 1203k
Fotos und Texte von Otto Göpfert

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1203k

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Mit letzter Kraft

 

1
Die Busse brummten, dröhnten, heulten, grunzten, pfiffen, jaulten, flöteten und kreischten. Sie jammerten und stöhnten, als sei ihr letztes Stündlein gekommen, und die Art, wie sie einander auswichen, wie sie überholten, passierten, kam mir vertrackt menschlich vor. Es schien, als hätten sie ein starkes Eigenleben entwickelt und sich weit von den Fahrern entfernt, die in ihrem Blech saßen und sie steuerten.
Wobei die kleinen Kläffer wie im Alltag der Menschen am lautesten heulten und bellten, wenn sie in endloser Folge versuchten, sich eilig vorbeizudrängen um unerlaubt zu überholen. Wie eigenständige Wesen, die alle menschlichen Macken und Unerzogenheiten angenommen ha-ben, quälten und schoben sie sich an meinem Hotel vorbei - eingenebelt von Benzin- und Dieseldunst und den ewigen Staubwolken der indischen Landstraße - auf ihrem Weg nach Mangalore oder Bangalore, nach Delhi oder Bombay, nach Madras oder Kalkutta. Wie häßliche Ungetüme zogen die Großen oder Kleinen, die Roten oder Blauen, die Rostigen oder Verchromten, die Trucks oder Superfasts, die Motorrikschas oder Minibusse in endloser Folge an mir vorbei.

2
Tagelang verschanzte ich mich in meinem Hotel, das sauber, preiswert und freundlich war, verbarrikadierte mich, schaute nur hin und wieder hinter halb vorgezogener Gardine auf diese ewig stöhnende Blechlawine und wagte mich nur einmal am Abend, wenn die bunten Lichtreklamen angingen, auf die Straße.
Sofort war ich Teil des Blechinfernos, verlorenes Wesen zwischen heulendem und jagendem Blech; aber es gab keinen anderen Weg in die Bierbar als der Highway über die einzige Brücke in dieser Stadt. Entnervt wich ich drohendem Unheil aus, sprang von einer Straßenseite zur anderen, lief in den Wind, um graue Abgaswolken hinter mir abwehen zu lassen, schrie und brüllte, schüttelte drohend meine Fäuste gegen die Blechungetüme und bog mit rudernden Armen hinter dem Brückenengpaß steuerbord in den ersten Seitenweg zur Bierbar ein. Erleichtert atmete ich auf, holte tief Luft und steuerte mit neuem Drive die nahe Bar auf dem Dach des hohen, langgestreckten Ladentrakts an.
Ich gurgelte mit einem OLD MONK RUM die Kehle von Staub und Diesel frei, spuckte wütend aus und spülte mit einem kühlen KING FISHER BEER nach, und erst nach der dritten Flasche vergaß ich allen Wahn und Alp, und die ersten guten Träume erreichten mich nicht zu spät. Sofort saß ich auf dem weiten, stählernen Deck eines Supertankers. Die farbige Bierbar-Reklame am Ende des Decks über dem Aufbau verwandelte sich in die Kommandobrücke des dicken Kahns, und das hohe, eiserne Geländer des Dachrestaurants täuschte eine lange Reling vor.
Stahl und Eisen mag ich nicht. Als zeitlebens verhinderter Seemann verlange ich Schiffsplanken aus Holz, aus altem, hartem Teak. Doch im Katastrophenfall steuere ich auch auf Stahl und Eisen den sicheren Hafen meiner Träume an.

3
Gelangweilt schaute ich aus luftiger Höhe auf den fernen Strom von Lastern und Bussen. Sie schwammen wie mickrige kleine Barkassen und alte Schuten unter mir vorbei oder wie die rostigen Hochseeschlepper der Hamburger FAIRPLAY-Reederei. Nach einem tiefen Schluck aus der Flasche begab ich mich ins Ruderhaus und gab den Befehl: Volle Fahrt voraus! Hinein in Schuten und Kähne und den ganzen Plunder und Schrott dieser verlorenen Welt!
Aber später - zurück auf Highway und Brücke und fort von Ruder und Schiff - nebelte alles motorisierte Blech dieser Welt meine verzweifelten Träume wieder ein, bis ich sie ganz aus den Augen verlor. Wieder drohte und brüllte ich, hob beschwörend die Hände gen Himmel, beschwor Shiva und Ganesh und alle Hindugötter, die mich hörten, schwenkte mein Halstuch, bot rasenden Bussen bedingungslose Kapitulation an, und die Hotelbediensteten, die mich brüllend, hustend und tuchschwenkend über die Straße hasten sahen, lachten und schüttelten den Kopf und gaben mir keine Chance mehr.

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